Whatever does not kill us
Resilienz – Mehr als nur ein Modewort in turbulenten Zeiten
17. jänner 2024
Resilienz ist ein Schlagwort, das in unserer heutigen, schnelllebigen Zeit an Bedeutung gewonnen hat. Es wird diskutiert und erforscht, in Zeitungsartikeln zitiert und in den Hallen der Unternehmen hoch geschätzt. Aber was verbirgt sich wirklich hinter diesem Begriff, der oft als Synonym für emotionale Unverwundbarkeit missverstanden wird?
Die Realität ist, dass wir alle in unterschiedlichem Maße Krisen, Herausforderungen und ein vielleicht sogar Traumata erleben. Ein kurzer Blick in die täglichen Nachrichten offenbart eine Welt, die von Naturkatastrophen, wirtschaftlichem Niedergang, politischen Wirren und sozialen Umbrüchen heimgesucht wird. Ein Dasein frei von Verlust, Krankheit und Krisen ist eine Illusion. Doch wenn ein ungestörtes Leben eine Utopie ist, was bedeutet es dann wirklich, resilient zu sein?
Im Verlauf dieses Artikels werden wir die vielschichtige Natur der Resilienz erkunden und genau untersuchen, was Resilienz wirklich bedeutet. Wir werden die gängigen Missverständnisse rund um diesen Begriff aufklären und aufzeigen, wie Resilienz sich in unseren täglichen Herausforderungen manifestiert.
Entwicklung des Resilienz-Verständnisses
Was genau ist Resilienz? Die Antwort auf diese Frage hat sich im Laufe der Zeit deutlich gewandelt. Früher wurde Resilienz vornehmlich als die Fähigkeit verstanden, nach belastenden Ereignissen zum ursprünglichen Zustand zurückzukehren – ein psychologisches Elastizitätsprinzip. Heute wissen wir, dass diese Definition die Tragweite des Konzepts nicht vollständig erfasst.
Resilienz ist die Fähigkeit zur positiven Anpassung in der Auseinandersetzung mit Lebensherausforderungen. Sie beinhaltet nicht nur die Rückkehr zur Ausgangslage, sondern auch das Potenzial für persönliche Entwicklung und Transformation durch und nach adversen Erfahrungen. Resiliente Menschen nutzen Stress und Rückschläge als Katalysatoren für Wachstum, indem sie auf ein Spektrum an persönlichen und sozialen Ressourcen zurückgreifen, um sich nicht nur zu erholen, sondern auch um sich weiterzuentwickeln und zu lernen.
Mit der Zeit hat sich das Verständnis von Resilienz also von einer statischen zu einer dynamischen Perspektive verschoben. Resilienz ist nicht mehr nur ein Aspekt der Gesundheit, sondern ein umfassendes Konzept, das Wohlbefinden und die Fähigkeit, ein erfülltes Leben zu führen, einbezieht. Sie beschreibt, wie Menschen in der Lage sind, sich anzupassen, zu lernen und zu prosperieren, selbst wenn sie mit den unvermeidlichen Stürmen des Lebens konfrontiert werden.
“Life is not a matter of holding good cards, but of playing a poor hand well.”
(Robert Louis Balfour Stevenson)
Wie unterscheidet Resilienz sich von bloßer Stressresistenz?
Können Sie einen Moment aus Ihrem Leben identifizieren, in dem Sie nicht nur Stress widerstanden, sondern daraus gelernt und sich weiterentwickelt haben?
Resilienz geht weit über das Konzept der Stressresistenz hinaus. Stressresistenz bezeichnet die Fähigkeit, auf Stress ohne größere Beeinträchtigung zu reagieren – eine Art psychologisches Schutzschild. Resilienz hingegen ist die Kapazität, sich aktiv und positiv an Herausforderungen anzupassen und dabei zu wachsen. Während Stressresistenz das Überdauern von Stress impliziert, beinhaltet Resilienz eine proaktive Komponente: das Lernen aus Erfahrungen, die persönliche Entwicklung und die Verbesserung der eigenen Anpassungsfähigkeit für zukünftige Herausforderungen.
Resiliente Menschen nutzen Widrigkeiten als Sprungbrett für Entwicklung, statt sie nur zu überstehen. Sie schöpfen aus einem Reservoir an inneren und äußeren Ressourcen, das ihnen ermöglicht, Schwierigkeiten nicht nur zu bewältigen, sondern daraus gestärkt und mit neuen Fähigkeiten hervorzugehen. Die Unterscheidung liegt also nicht nur in der Reaktion auf Stress, sondern auch in der langfristigen Transformation und dem Aufbau von Widerstandskraft, die über die aktuelle Situation hinaus Bestand hat.
Sind wir zur Resilienz geboren oder können wir sie erlernen?
Resilienz ist ein facettenreiches Phänomen, das sowohl von genetischen als auch von umweltbedingten Faktoren abhängt. Doch wird man bereits resilient geboren? Studien, wie die von Boardman, Blalock und Button über "Sex Differences in the Heritability of Resilience" vom 1. Februar 2008, legen nahe, dass zwischen 31% und 52% der Resilienz genetisch bedingt sind. Dies bedeutet, dass ein nicht unerheblicher Teil der Widerstandsfähigkeit durch Vererbung beeinflusst wird. Doch mindestens die Hälfte der Resilienz wird durch Umweltfaktoren, Lernen und Training bestimmt, was starke Hinweise darauf gibt, dass individuelle Resilienzfaktoren trainierbar sind.
Die Förderung der individuellen Resilienz beinhaltet eine Veränderung in Verhalten und innerer Haltung. Menschen sind zu Veränderungen fähig, wenn sie überzeugt sind, dass sie sich weiterentwickeln können. Dies steht in direktem Zusammenhang mit dem Konzept der Selbstwirksamkeit, einem wichtigen Resilienzfaktor. Selbst bei Erkrankungen, wo der Handlungsspielraum eingeschränkt sein mag, besteht die Möglichkeit, grundlegend Einfluss auf unsere Gedanken, Gefühle und unser Verhalten zu nehmen. In diesem Kontext ist ein Zitat von Viktor Frankl besonders treffend:
„Wo keine Handlung mehr möglich ist - die das Schicksal zu gestalten vermöchte - dort ist es nötig, in der rechten Haltung dem Schicksal zu begegnen."
Diese Einsicht betont, dass trotz der genetischen Prädispositionen und der Umstände, unter denen wir leben, ein erheblicher Teil der Resilienz durch bewusste Entscheidungen und Anstrengungen gestärkt werden kann. Es ist die proaktive Auseinandersetzung mit den Herausforderungen des Lebens, die Resilienz nicht nur zu einer angeborenen Eigenschaft, sondern auch zu einer erlernbaren Fähigkeit macht.
Sind resiliente Menschen unverwundbar?
Die Annahme, dass ein resilienter Mensch unerschütterlich sei, ist ein weit verbreitetes Missverständnis. Tatsächlich lässt sich nicht vorhersagen, ob eine Person nach dem Einwirken eines Stressfaktors gesund bleibt oder nicht. Resilienz ist weniger eine Garantie für Unverwundbarkeit, sondern vielmehr ein solides Fundament aus Handlungsoptionen und Bewältigungsstrategien. Sie ermöglicht es, auf Ressourcen zurückzugreifen, wenn Herausforderungen auftreten. Doch es wäre unangemessen, auf individueller Ebene eine Schuld zuzuweisen, wenn jemand unter Turbulenzen leidet. Selbst der resilienteste Mensch kann unter dem Verlust eines geliebten Menschen oder anderen Krisensituationen leiden, trauern und Schmerz empfinden.
Die wahre Stärke der Resilienz offenbart sich darin, den Blick wieder nach vorne zu richten und Handlungsoptionen zu erkennen, um das Ruder in stürmischen Zeiten zurück in die Hand zu nehmen. Es ist bemerkenswert, dass diejenigen, die nach außen hin unberührt erscheinen, oft die größten Anpassungsprozesse im Gehirn durchlaufen. Resilienz umfasst auf neurobiologischer Ebene einen kontinuierlichen Anpassungs- und Lernprozess, der sich unserer direkten Wahrnehmung entzieht.
Zudem können auch resiliente Menschen an ihre Grenzen stoßen und sich in Situationen wiederfinden, die sie überfordern und für die sie (noch) keine Bewältigungsstrategien entwickelt haben. Ein sehr robuster Mitarbeiter, der bei keiner einzigen Deadline ins Schwitzen kommt, kann aber größte Probleme mit private Konflikte haben und sehr darunter leiden. Resilienz ist also nicht universell, sondern situationsspezifisch und individuell unterschiedlich ausgeprägt. Sie ist ein dynamisches Konzept, das sich im Laufe des Lebens und über verschiedene Kontexte hinweg entwickelt und verändert.
Bedeutet Resilienz, dass wir uns vor Stressoren schützen sollten?
Lange herrschte die Annahme, dass ein direkter Zusammenhang zwischen negativen Lebensereignissen und einer Verschlechterung der psychischen Gesundheit besteht. Die verbreitete Auffassung war, dass starke Stressoren zwangsläufig krank machen. In unserer gegenwärtigen Gesellschaft beobachten wir eine Tendenz, Schwierigkeiten und Herausforderungen eher aus dem Weg zu gehen. Viele Eltern sind bestrebt, ihre Kinder vor Konflikten, Risiken und Schwierigkeiten zu schützen. Doch stellt sich die Frage, ob dies wirklich notwendig, oder sogar gesund ist.
Neuere Studienergebnisse zeichnen ein differenziertes Bild: Menschen, die in ihrer Vergangenheit schwerwiegenden negativen Erlebnissen ausgesetzt waren, zeigen sich psychisch oft gesünder, weniger gestresst und mit ihrem Leben zufriedener als diejenigen, die kaum oder keine solchen Erfahrungen gemacht haben. Diese Ergebnisse lassen vermuten, dass ein gewisses Maß an Herausforderungen zur psychischen Widerstandsfähigkeit beitragen kann. Doch die gleichen Studien weisen auch darauf hin, dass ab einem Schwellenwert von mehr als vier tiefgreifenden negativen Ereignissen die psychische Belastung mit jedem weiteren Erlebnis zunimmt.
Es zeigt sich, dass Kinder, die in einem überbehüteten Umfeld aufwachsen und selten mit Herausforderungen konfrontiert werden, später im Leben oft weniger gut mit solchen umgehen können. Sie entwickeln nicht die gleiche Resilienz wie ihre Altersgenossen, die gelernt haben, Schwierigkeiten zu meistern. Diese Erkenntnisse implizieren jedoch nicht, dass Kinder oder Jugendliche absichtlich Traumatisierungen ausgesetzt werden sollten. Echte Traumata müssen unbedingt vermieden werden, da sie ein signifikant erhöhtes Risiko für die Entwicklung psychischer Erkrankungen darstellen.
Somit scheint ein ausgewogenes Maß an Herausforderungen förderlich für die Entwicklung von Resilienz zu sein. Es geht nicht darum, Stressoren gänzlich zu meiden, sondern darum, die Fähigkeiten zu entwickeln, diese zu bewältigen und aus ihnen zu lernen. Eine vollständige Abschirmung vor Lebensrealitäten kann letztendlich die psychische Widerstandsfähigkeit untergraben, anstatt sie zu stärken.
Eine Botschaft zum Mitnehmen
Resilienz ist die Kunst, flexibel und anpassungsfähig zu bleiben, wenn das Leben uns vor Herausforderungen stellt. Sie ist ein komplexes Konstrukt, das persönliche Eigenschaften, Umweltfaktoren und erlernte Fähigkeiten umfasst, die wir aus unseren Erfahrungen gewinnen. In der Psychologie versteht man unter Resilienz die gebündelten Fähigkeiten, sich von Stress oder Widrigkeiten zu erholen, ihnen zu widerstehen oder sich neu zu konfigurieren. Sie ist eine lebenswichtige Ressource, die uns vor den schädlichen Auswirkungen von Stress schützen und helfen kann, die Kontrolle über das Leben zurückzugewinnen und sogar Wachstum und positive Veränderung zu fördern.
Die Entwicklung und Aufrechterhaltung von Resilienz ist ist durch verschiedene Techniken möglich: Unterstützung suchen, Akzeptanz, Ziele setzen, aus Erfahrungen lernen, Stärken entdecken und nutzen, Bewältigungsstrategien entwickeln und eine positive Lebenseinstellung fördern. Die Zusammenarbeit mit einem Therapeuten oder Coach kann dabei von unschätzbarem Wert sein, da sie die Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben vertieft und das Vertrauen stärkt, sich neuen Möglichkeiten und Chancen zu öffnen.
Letztlich ist Resilienz deshalb so bedeutend, weil sie Menschen, Gemeinschaften und Systemen ermöglicht, in Zeiten der Widrigkeiten zu gedeihen, Unsicherheiten zu managen und kontinuierlich zu wachsen und sich zu verbessern.
Herzlichst,
Maaike
Literaturverzeichniss
- Frankl, V. E. (2006). Man's Search for Meaning. Beacon Press. (Originalarbeit veröffentlicht 1946).
- Masten, A. S. (2001). "Ordinary magic: Resilience processes in development". American Psychologist, 56(3), 227–238.
- Southwick, S. M., & Charney, D. S. (2012). Resilience: The Science of Mastering Life's Greatest Challenges. Cambridge University Press.
- Reichhart, T. , Push, C., (2023). Resilienz-Coaching. Springer Verlag.
- Seligman, M. E. P. (2011). Flourish. Kösel
- Seery, M. D., Holman, E. A., & Silver, R. C. (2010). "Whatever does not kill us: Cumulative lifetime adversity, vulnerability, and resilience." Journal of Personality and Social Psychology, 99(6), 1025–1041.
- Boardman, J. D., Blalock, C. L., & Button, T. M. (2008). "Sex Differences in the Heritability of Resilience". Twin Research and Human Genetics, 11(1), 12–27.